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Der moralische Wert von Handlungen – Ein Gedanke von Franciscus de Oviedo

Franciscus de Oviedo SJ (1602–1651), ein jesuitischer Theologe und Philosoph, beleuchtet in seiner Theologie eine Frage, die auch heute noch kontrovers ist: Was macht eine Handlung wirklich moralisch wertvoll? Obwohl Oviedo heute, zu Unrecht, kaum noch eine Randnotiz der Philosophiegeschichte ist, bieten seine Überlegungen doch spannende Perspektiven für ethische Diskussionen auch der Gegenwart. Als Kostprobe seien zwei Auffassungen vorgestellt, wie sich Handlungen moralisch bewerten lassen.

Die erste Sichtweise besagt, dass eine Handlung umso weniger moralisch ist, je weniger sie bewusst und frei gewählt wird. Oviedo erklärt: „Wenn eine Handlung mit weniger Aufmerksamkeit oder weniger Freiheit vollzogen wird, hat sie weniger moralische Qualität.“(1) Das bedeutet, eine Handlung verliert an Wert, wenn sie nicht aus eigener, bewusster Entscheidung, sondern aus Gewohnheit oder äußeren Zwängen geschieht. Ich muss etwas aus vollem Herzen tun. Ein altbackenes Beispiel: Der Kirchgang, den man nur, „weil es alle so machen“, antritt, ohne eigene Überzeugung. Über diese Biederkeit spottete einst Degenhardt hörenswert in seinem Deutschen Sonntag:


„Da treten sie zum Kirchgang an,

Familienleittiere voran,

Hütchen, Schühchen, Täschchen passend,

ihre Männer unterfassend,

die sie heimlich vorwärts schieben,

weil die gern zu Hause blieben.“(2)


Die zweite Perspektive ist eine radikale Umkehrung: Hier wird eher das Ziel der Handlung in den Vordergrund gestellt. Nicht die Freiheit oder die bewusste Aufmerksamkeit des Handelnden zählt, sondern der Gegenstand, auf den die Handlung ausgerichtet ist (also dass man den Gottesdienst besucht). Oviedo formuliert es so: „Der moralische Wert einer Handlung ergibt sich aus ihrer Ausrichtung auf einen aus sich guten Handlungsgegenstand (ad obiectum ex se honestum).“ Die innere Haltung dazu ist unwichtig; die Handlung muss nicht aus „vollem Herzen“ vollzogen werden. Freiheit ist hier zwar notwendig, damit die Handlung überhaupt moralisch bewertet werden kann, aber sie beeinflusst nicht den Wert der Handlung selbst.


Stell Dir vor, Du hilfst einer alten Dame über die Straße. In der ersten Ansicht wird betont, dass Deine Handlung umso wertvoller ist, je bewusster und freier Du Dich dafür entscheidest. Wenn Du nur hilfst, weil alle anderen auch helfen oder Du Dich als guter Mensch inszenieren willst, ist Deine Handlung moralisch weniger wertvoll. Die subjektive gute Absicht (Aufmerksamkeit und Freiheit) bestimmt also wesentlich mit, wie moralisch wertvoll eine Handlung ist.


In der zweiten Ansicht wird hingegen betont, dass Deine Handlung an sich gut ist, unabhängig davon, warum Du hilfst. Der hilfsbedürftigen Dame über die Straße zu helfen, hat einen Wert an sich – ganz unabhängig von Deinen Motiven. Die objektive Gutheit der Handlung liegt somit im obiectum der Handlung selbst.


Denkst Du, es zählt mehr, dass Du bewusst und frei handelst, oder kommt es nur auf das Ergebnis an? Ist es nicht auch sinnvoll, wenn die Menschen aus Gewohnheit oder sogar Pflicht Gutes tun? Sollte das nicht gewürdigt werden? Oder sollte man nur das machen, bei dem man mit vollstem Herzen oder aus tiefster Überzeugung dabei ist? Wie beeinflusst diese Frage Dein tägliches Leben – sei es in der Familie, am Arbeitsplatz, in Beziehungen oder in alltäglichen Entscheidungen? Oder macht das keinen Unterschied?



1 Dieses Zitat und die folgenden Zitate von Franciscus Oviedo stammen aus Tractatus Theologici, Scholastici, & Morales, respondentes primae secundae D. Thomae. Madrid 1646, PDF-S. 338 (n. 48). Der vollständige Text ist hier hinterlegt: https://drive.google.com/file/d/1--q6ZZzlWMzhCph_opm29UGGN8Njq8m_/view?usp=sharing


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