“Das war mal wieder so egoistisch von dir!”
- Dominik Sobacki
- 27. Mai 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Apr.
Wie reagiert man darauf? Entweder es folgt eine Rechtfertigung, eine Erklärung, der Versuch einer Rechtfertigung. Kaum je ist zu hören: “Ja, was denn sonst!?” Die meisten verteidigen noch unbemerkt die Annahme eines Altruismus. Kaum einer würde bei dem Vorwurf mit der Schulter zucken, geschweige denn sich auf die Schulter klopfen.
Ob es einen Altruismus geben kann oder ob der Egoismus erstrebenswert ist, darüber spricht man in solchen Vorwurfssituationen eher weniger. Denn im Gefecht des psychosozialen Miteinanders geht diese Metaebene dann doch häufig flöten. Die philosophische Frage nach der Möglichkeit von Altruismus ist zwar eine schöne und spannende Frage. Doch ein Blick über den Tellerrand kann ja nicht schaden: Diese Metaebene ist sicher auch in der Soziologie Thema, dachte ich mir. Ich habe gesucht und gefunden und blieb, kaum verwunderlich, zum Schluss mit mehr Fragen als Antworten zurück. Eine dieser Fragen will ich hier teilen.
Zunächst die Quintessenz zum Altruismus in der Sozialpsychologie bzw. nach Prof. Erb: Altruismus, so Erb, ist “Hilfeverhalten, das nicht dadurch motiviert ist, dass man Eigenvorteile erlangt. Grundlage dafür sollte Empathie sein.” (Altruismus | Sozialpsychologie mit Prof. Erb)
Ein wenig genauer: Ein Hilfeverhalten ist nicht altruistisch, wenn ich einen Vorteil dafür erlange, wie Vergütung, Anerkennung oder die Beseitigung schlechten Gefühls. Auch nicht wirklich altruistisch ist ein Hilfeverhalten, wenn ich Gegenleistung erwarte. Erb nennt als Beispiel Sozialleistungen. An anderer Stelle spricht Erb auch vom Helden- und Märtyrertum. Dieses Hilfeverhalten wäre dem reziproken Altruismus zuzuordnen, kein Altruismus im eigentlichen Sinne.
Einmal ganz abgesehen davon, was der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Form von Hilfeverhalten ist, und ob es überhaupt einen gibt, lässt sich doch schon einmal die Frage stellen: Welche Handlung ist denn dann noch, bitteschön, altruistisch?
Erb sagt: ‘Grundlage für ein Hilfeverhalten, das rein altruistisch ist, ist Empathie.’
Interessant. Wir erinnern uns: Erb bestimmt gleichzeitig dasjenige Hilfeverhalten als nicht altruistisch, bei dem man ‘die Beseitigung des eigenen schlechten Gefühls anstrebt, das man hat, wenn man jemanden leiden sieht’. Die Verbesserung der eigenen psychischen Situation als Motivation für Hilfe ist nach Erb egoistisch.
Und damit habe ich in der Tat ein Problem.
Erb unterscheidet zwischen schlechtem Gefühl und reiner Empathie als Motivation für eine Hilfstätigkeit. Helfe ich einem Menschen aus Mitgefühl, ist es altruistisch, helfe ich ihm, weil ich mein schlechtes Gefühl nicht ertrage, dann ist es egoistisch. Mir stellt sich an dieser Stelle nämlich sofort die Frage: Wie soll ich ein schlechtes Gefühl haben, wenn ich jemanden leiden sehe, wenn ich im selben Augenblick nicht empathisch bin? Wird Empathie nicht hauptsächlich durch Mitfühlen definiert? Ja, in der Tat, das wird sie. Erb sagt es selbst in einem anderen Interview: Empathie in Reinform sei ‘echtes Mitfühlen, sei dann gegeben, wenn die Emotion auf mich übergeht’. (Empathie | Sozialpsychologie mit Prof. Erb)
Daraus ergibt sich zunächst ein Szenario, in dem zumindest die Annahme einer Koexistenz von Altruismus und Egoismus in sich widersprüchlich zu sein scheint:
Es ist nicht lange her, da stand ich an einer Ampel, neben mir eine Mutter mit Kinderwagen. Der Bus, der an der Haltestelle halten sollte, fuhr über den Zebrastreifen. Dann wurde es grün. Kurz sah es so aus, als ob der Kinderwagen die Mutter hinter sich her ziehen würde. Dann wurde mir klar: Die junge Frau wollte den Bus erwischen, der auf der gegenüberliegenden Seite hielt. Es dauerte keine Sekunde, das linke Rad machte sich vom Acker, die Achse bremste am Asphalt ab, der Kinderwagen drehte sich um die eigene Achse, die Mutter fiel über den Kinderwagen, aus dessen Fach, das sich unter dem Sitz des Kindes befand, rollte diverses Supermarktgemüse. Dann kam ich ins Spiel: Ich sehe, wie sie entgeistert und schmerzverzerrt mitten auf der Straße am Boden liegt, werde empathisch und helfe ihr.
Verhält es sich hier nicht so, dass ich das schlechte Gefühl der leidenden Frau in mir spiegele, empathisch werde (Altruismus), dieses Gefühl aber nicht ertrage und es beende, indem ich der leidenden Mutter helfe (Egoismus)? Wenn alles auf die Reduzierung/Abschaffung meiner internalisierten schlechten Gefühle dieser auf der Straße liegenden Frau zurückzuführen ist, dann wäre meine Handlung egoistisch. Oder umgekehrt: Wenn mein Handeln auf Grundlage von Empathie die hinreichende Bedingung für Altruismus ist, dann gibt es in diesem Fall meines unmittelbaren Leidwahrnehmens keinen Egoismus.
Mutter hat schmerzen/Angst → Ich sehe es und werde traurig/bekomme Angst (Empathie) → Ich will nicht traurig sein/Angst haben → Ich helfe der Mutter (Beseitigung meiner schlechten Gefühle) → Mutter ist nicht mehr traurig/hat keine Angst bzw. ich bin nicht mehr traurig/habe keine Angst
Eine und dieselbe Situation der Hilfestellung, zwei verschiedene Möglichkeiten, die Handlung zu bewerten. Fast wie zwei Seiten einer Medaille, nur dass hier die eine (hinreichende Bedingung für den Egoismus; das Abschaffen meiner eigenen negativen Gefühle) die andere voraussetzt (nämlich die hinreichende Bedingung für den Altruismus, meine Empathie).
Und vor dem Hintergrund, dass hier Altruismus und Egoismus untrennbar miteinander verbunden sind, beschleicht mich doch das Gefühl, dass wenn ich mich im Rahmen der oben dargelegten Deutung für eines von beiden entscheiden müsste, der Altruismus den Kürzeren ziehen würde. Dafür sprechen zwei Argumente. 1) Würde ich im Schritt der Empathie verharren (mein Schmerz/meine Angst), würde meine Hilfestellung nicht zustande kommen. Von Altruismus wäre keine Rede. 2) Damit meine Handlung zu einer Hilfestellung wird, bedarf es der hinreichenden Bedingung, nämlich meiner Absicht, meine schlechten Gefühle zu beenden. Die hinreichende Bedingung wäre also eine, die meine Handlung als egoistisch bestimmt.
Kann es einen ‘reinen’ Altruismus überhaupt geben? Landet man nicht zu guter Letzt irgendwo beim ‘psychologischen’ Egoismus, dem nach jeder Handlung und folglich jeder Hilfestellung die anthropologische Konstante des notwendig egoistischen Motivs zugrunde gelegt wird?

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